Die Minkus-Affäre

Historischer Hintergrund:Das Flicken-Deutschland wählt im Mai 1848 das erste deutsche Parlament, die ersten echten demokratischen Bestrebungen in Deutschland, zudem vor allem Mitglieder des höheren Standes (Professoren, Adel) gehörten, und die den Gegenpol zu den preußischen und österreichischen Herrschern bilden. Im September 1848 gibt es in Frankfurt einen gewaltsamen Aufstand von linker Seite, bei dem zwei konservative Abgeordnete getötet werden, und Liberale und Demokraten gespalten werden. Der einzige "echte Bauer", der einzige aus dem einfachen Stand ist Christian Minkus, der aus Schlesien kommende Kolonist und Krämer, der sich zu Beginn des Theaterstücks in seinem Wahlbezirk aufhält, um von den Vorgängen aus dem Parlament zu berichten. Das folgende Theaterstück ist nah an dem Original-Protokolle das jetzt der Öffentlichkeit dank Google Books zugänglich sind. Persönlicher Hintergrund: Der Autor ist vierfacher Urenkel von Christian Minkus. Das Theaterstück wurde im Kreis der Familie uraufgeführt.


Wilhelm IV, König von Preußenvon Beckerath, Reichsminister der FinanzenBeseler, Vizepräsident des ParlamentsDr. iur. Reinganum, Anwalt des Christian MinkusDie konservativen Abgeordneten Vogt und von MannheimDie konservativen Redakteure Löw, Bernhardi und JürgensDer liberale Abgeordnete RöslerChristian Minkus, Abgeordneter vom Bezirk Rosenberg

Szene 1, Berlin, Stadtschloss

Wilhelm IV: Ich sag es nicht nicht noch einmal, Carl. Deutschland ist nicht Österreich-Ungarn. Die Demokraten hier sind radikaler und stärker.

Carl Heinrich Jürgens: Dennoch, Eure Excellenz, ich sage eben deswegen dass wir zu militärischen Mitteln greifen müssen. Bevor das ganze deutsche Volk von demokratischen Ideen verdorben ist.

Wilhelm IV: Der September hat gezeigt, dass die Radikalen selbst vor Gewalt nicht zurückschrecken. Wenn wir jetzt zuschlagen, würde vielleicht aus einem Funken ein Flächenbrand. Ich sage, wir müssen klüger vorgehen. Solange die Linken als ein Block dastehen, müssen wir der Flinte das Wort vorziehen.

Carl Heinrich Jürgens: Euer Majestät meint Intrigen spinnen und Lager spalten.

Wilhelm IV: Richtig Carl. Lass deine Schreiberlinge sich austoben. Du erhältst Zugang zu allen offiziellen Organen, die Oberpostamtszeitung eingeschlossen. Dank deiner immunitas musst du ja keine Strafe fürchten, gesegnet sei diese demokratische Degeneration.

Carl Heinrich Jürgens: Jawohl mein König.

Szene 2, 2 Wochen später, Rosenberg

Christian Minkus: Liebes Volk, ich will nun meine Rede folgendermaßen beschließen. Die Errungenschaften die ich mitbringe, vom Jagdgesetz bis zur verringerten Steuerlast sind die des freien Parlamentarismus. Der September war eine tragische Ausnahme in einer friedlichen Bewegung, die uns alle weiter bringt. Wir sollten danach streben… Hey, was wird das? (Zwei Polizisten führen in ab)
Barbara Minkus: Nein, lasst ihn los. Mein lieb' Johann, hol den Teer damit ich es diesen Ganoven auf den Kopf schütten, kann. Verflucht ist das, in unsrem Alter noch so eine vermaledeite Sache, nie hätte ich ihn nach Frankfurt ziehen lasse', meinen Liebsten. Wo ihn sein Gequatsche hinbringt, zuerst nach Frankfurt und dann ins Verließ, der Herrgott weiß dass ich ihn nie hätte ziehen lasse'.

Szene 3, Frankfurt, Deutscher Hof

Reichsminister von Beckerath: Wien wankt. Blum wurde inhaftiert und die politische Immunität nonchalant missachtet.

Dr. Reinganum: Österreich ist nicht Deutschland, Hermann. Wir sind hier viel beliebter als im Habsburgerland.

von Beckerath: Die antidemokratische Propaganda hat sich verdreifacht in den letzten Tagen. Und dank des Septembers zweifeln einige an einer friedlichen Lösung.

Rösler (an einem Tisch lesend, mit einer Zeitung): Meine Freunde, schaut euch das mal an.

Der Minkus wurde verhaftet.

von Beckerath: Hetze zum Morde in Schlesien. Dass ich nicht lache! Christian würde keiner Fliege was zuleide tun.

Reinganum: Lächerlich! Ein gebildeter Bursche, aus schwierigen Bedingungen erwachsen. Solcherlei Dinge widerstreben seinem Charakter zutiefst. Ist die Oberpostamtszeitung jetzt auch zur Klatschblatt verkommen?

Rösler: Ich fahre nach Berlin. Sowas können wir uns nicht gefallen lassen. (ab)

von Beckerath: Ich denke wir müssen an Christian ein Exempel statuieren. Ansonsten wird juristische Willkür zum Normalzustand.

Reinganum: Ich setze die Dokumente auf. Vielleicht wird das der größte Prozess meiner Karriere. Definitiv der wichtigste.

Szene 4, Vier Wochen später, Frankfurter Parlament

Reinganum: Ich sag dir doch, wir deichseln das. Du sitzt einfach da und nickst unsere Punkte ab.

Minkus: Ich bin mir unsicher mit der ganzen Sache. Eigentlich bin ich zu alt für solche Sachen und meine Familie vermisst mich. Barbara war in heller Aufregung nach der Festnahme.

Beseler: Ruhe bitte, meine Herren. Ruhe! Protokoll vom 6. 11. 1848. Erster Punkt. Antrag auf strafrechtliche Verfolgung der Abgeordneten Jürgens, Löw und Bernhardi durch den Abgeordneten Minkus. Vertreten durch den ausgezeichneten Anwalt Reinganum. Wortführer ist der Abgeordnete Rösler.

Rösler: Meine Herren, erst einmal vorweg: Dieser Prozess ist mehr als nur ein Individualprozess von Minkus gegen Jürgens. Dieser Prozess ist die Antwort auf eine Welle von Fehlinformation und Hetze die durch Abgeordnete auf der rechten Seite dieser Kirche.

(Rufe von Rechts)

Beseler: Einspruch durch den Abgeordneten Vogt.

Vogt: Meine Herren, die Sache ist einfach. Grundlage des Parlaments ist die freie Meinungsäußerung. Abgeordnete genießen IMMUNITÄT. Der Antrag sollte ohne weiteren Zweifel abgeschmettert werden!

Beseler: Wer ist für eine Ablehnung?

(Rechte Seite hebt Arme)

Beseler: Das ist nicht die erforderliche Mehrheit. Rösler hat das Wort.

Rösler: Meine Herren, es ist die Tragweite dieses Treffens, dass wir entscheiden müssen: Wo liegen die Grenzen der politischen Immunität? Ich bin mir sicher, dass Sie diese Frage nach der Darstellung der abscheulichen Hetze und Fehljustiz die durch Abgeordnete dieses Parlamentes entstanden sind nicht mehr so eindeutig beantworten werden können. Herr Reinganum bitte.

Reinganum: Der Tatbestand ist der folgende: Der Abgeordnete Minkus reiste am 25. September nach Schlesien um vor seinem Wahlbezirk sein Wirken zu bezeugen. Am 02. Oktober vermeldet die Oberpostamtszeitung, dass Minkus die Morde der Septemberunruhen für nachahmungswürdig befunden und Königsmord gepredigt hätte. Wenn man den Weg einer Postkutsche nach Schlesien bedenkt, dann könnte vielleicht der Minkus am 25. seine Rede hätten halten können, dass es am 2. in der Zeitung steht. Am 25. ist der Minkus aber noch in Frankfurt gesehen wurden! (Hört Hört von der Linken) Sie war geschmiedet! (Aufruhr)

Und am nächsten Tag erscheint dann folgendes in den “Flugblättern des deutschen Nationalparlaments”: ...zu früh freute sich Blum der österreichischen Revolution, zu früh hetzte Minkus zum Tode.” Herausgeber: Carl Heinrich Jürgens. (Aufruhr auf der Rechten Seite)

von Mannheim: Meine Herren, wenn wir hier säßen bis alle Beleidigungen der Presse der letzten Monate abgearbeitet sind, wäre diese Sitzung bis in einem Jahr nicht zu Ende. Eine Lappalie! (Aufruhr auf beiden Seiten)

Beseler: Ruhe im Saal! Die Diskussion verläuft offensichtlich nicht mehr in angemessenem Ton! Ich vertage die Entscheidung auf nächste Woche!

Szene 5, 2 Tage später, Berlin, Stadtschloss

Wilhelm IV: Ich bin auf bitterste enttäuscht, Jürgens! Weißt du wie sie dein Malheur in den Zeitungen nennen? Die “Minkus-Affäre”! Noch nie war der Beckerath und der Rösler Flügel vereinter! Noch nie die Stimmung gegenüber dem König schlechter!

Jürgens: Die ganze Sache scheint sich wohl gegen uns gekehrt zu haben. Minkus erschien mir als perfektes Bauernopfer. Aber er hat wohl mehr Freunde als gedacht.

Wilhelm IV: Und was für welche! Der Reinganum hat noch nie einen Prozess verloren und Beckerath hat genug Mittel für einen Prozess der Extraklasse. Das an einem einfachen Schlesier unsere Pläne zerschellen! Was für eine Wendung!

Szene 6, Zwei Tage später, Deutscher Hof:

von Beckerath: Blum ist tot.

Reinganum: Ein Gutes hat es wenigstens: Der Schutz der Immunität hat als Argument an Kraft erheblich verloren.

von Beckerath: Das ist wohl kaum ein Trost. Ich denke wir sollten uns aufs Übelste vorbereiten. Nachdem Prozess soll Minkus nach Schlesien zurückkehren sollen. Ich werde ihm seine Diät mit Zins persönlich erstatten.

Reinganum: Wollte sein Sohn nicht eine Tischlerei etablieren?

von Beckerath: Dann soll ihm diese Freundschaftsbekundung seinen Ahnen zu mehr helfen als ihm vergönnt war.

Szene 7, 3 Tage später, Frankfurter Parlament:

von Beckerath: Es ist heute dann wohl der Tag gekommen an dem sich entscheidet, ob der sittliche Parlamentarismus sich selbst erhalten kann. Es ist Teil einer ordentlichen Debatte dass die einzelnen Parteien einsehen, wenn ihre Meinung in der Sache falsch lag. Ansonsten ist sind es sinnbefreite Worthülsen die wir hier sprechen. Deswegen, meine lieben Kollegen, plädiere ich für eine Einschränkung der Immunität. Der Fall Minkus ist von Arroganz und Ignoranz geprägt, die Ausführung naiv und schnell des Faulseins überführt. Viele von denen die gegen ihn konspirierten hätten lieber einen konservativen schlesischen Fürsten an seiner statt gesehen. Und allen von ihnen war es ein Dorn im Auge, diesen Saal mit dem Sohn eines Bauern zu teilen. (Rufe von Rechts). Ich will hiermit schließen: Unsere Bewegung hat Humanität und Demokratie in das deutsche Land gebracht, und mag sie auch zum Scheitern verurteilt sein, sie ist wichtig für unser uns alle. Aber um sie zu schützen und um jede Demokratie danach zu schützen, um den einfachen Schlesier der allen Gefahren trotzt zu schützen, müssen wir diesen wichtigen rechtlichen Präzedenzfall schaffen!

Beseler: Das war das letzte Plädoyer. Hat der Abgeordnete Minkus noch etwas zu sagen?

Rösler: Herr Minkus richtet aus, dass ihm der Ausgang der Abstimmung nun mehr gleich sei. Ein Exemplum für rechtschaffende Bescheidenheit möchte ich meinen.

von Beseler: Nun gut. Somit lautet die Frage: Soll die strafrechtliche Verfolgung der Abgeordneten Jürgens, Bernhardi und Löw möglich gemacht werden? (alle erheben sich außer eben jene)

Beseler: Somit ist der Antrag des Abgeordneten Minkus angenommen!

Szene 8, Deutscher Hof, Frankfurt:

Christian Minkus: So sei es denn, morgen geht es zurück nach Hause.

von Beckerath: Hast du schon im Parlamentsbuch unterschrieben?

Christian Minkus: Ja, und unsere Freundschaft mit einem Kreuzreimgedicht verewigt werden.

von Beckerath: Dann soll es wohl so sein. Das hier ist für deinen Sohn. (drückt ihm Geldbeutel in die Hand)

(schütteln sich Hände)

Szene 9, zwei Wochen später, Rosenberg

Christian: Barbara, putzt du schon wieder?

Kathrin: Sie haben sich verirrt, Herr Abgeordneter. Frankfurt liegt Richtung Westen.

(Umarmung)

Kathrin: Wo gehst du hin?

Christian: Holz kaufen, auf das unsere Ahnen Tischler werden, das ist ein gutes Handwerk, Jesus hat am Holz gelernt.


Leo Hennig, 25.12.2018